Leiharbeiter, Nazis und Pakete

Jetzt hat es Amazon erwischt. 2012 versuchte es ja bereits das ZDF innerhalb einer Versandhandels-Reportage. Jetzt spendierten die Öffentlich Rechtlichen dem Versandriesen seine ganz eigene Doku. Plus Skandal. Der Aufschrei (noch einer…) lässt mich fragen, unter welchem Stein die ganzen Blogger, Kommentatoren und Redakteure bisher gelebt haben?

Zugegeben, was bei Amazon mit den Naziwächtern ablief, darf einfach nicht passieren und die entsprechenden Konsequenzen wurden ja mittlerweile gezogen. Dass Mitarbeiter mit nationalsozialistischen Gedankengut bei Sicherheitsfirmen anheuern, ist aber bei Weitem nichts Neues. Als Maurer, Kassierer, Koch, in der Werkstatt oder bei Agenturen soll sich der eine oder andere Nazi wohl auch verdingen. Ja irgendwo müssen die ja arbeiten. Oder denken Sie, alle sitzen bei der NPD und kleben Wahlplakate? Dumm wird’s nur, wenn sie ersuchen, ihre Ideologie in den Beruf einzubringen…

Weitaus empörter debattierte sich das Netz über die Leiharbeiter-Zustände. Dass diese jedoch von der Politik so forciert und die Wege dazu geebnet wurden, vergessen viele. Die Arbeitnehmerüberlassung gibt es nämlich schon eine ganze Weile und soll Unternehmen ermöglichen, innerhalb saisonaler Spitzen unkompliziert Arbeitskräfte auf Zeit zu beschäftigen. Die nötigen Verträge kommen selten von den Unternehmen selbst, sondern über die Zeitarbeitsfirmen, die ja auch irgendwie an der ganzen Sache verdienen wollen; selbstverständlich ausgetragen auf dem Rücken der Erwerbstätigen. Zeitarbeiter-Anbieter sowie die inanspruchnehmenden Unternehmen bewegen sich im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Es ist daher schlichtweg unpassend, ein einzelnes Unternehmen deswegen zu kritisieren. Und was ist mit den Arbeitsbedingungen?

Ich habe mir selbst in einem Amazon-Logistikzentrum im Osten Deutschlands ein Bild gemacht, sofern das im Rahmen eines „Tags der offenen Tür“ möglich ist. Alle Bereiche bekam man nicht zu sehen. Aber wenn man viel in Unternehmen unterwegs ist, weiß man durchaus, worauf man achten muss. Zudem kenne ich einige Leute, die dort arbeiten. Dabei puzzelt sich ein ganz anderes Bild zusammen, das so gar nicht zum Tenor der Masse passen will: Klar muss man im Logistikzentrum richtig dolle arbeiten, eine Fließbandarbeit, wie man sie noch aus Zeiten vor der maschinellen Industrialisierung kennt. Können sich viele gar nicht mehr in ihrem warmen Büro vorstellen, dass man für sein Geld mal durchgängig arbeitet. Viele werden es nicht glauben, aber ausgedehnte Kaffeepausen, Raucherschwätzchen, Büroplausch und zeitverschwendendes Surfen auf Facebook, 9Gag und Co. sind nämlich gar keine Arbeit!

Sicherlich wird kontrolliert, ob man auch eine gewisse Menge pickt (Waren einsammelt) oder packt. Die Ziele werden hoch gesetzt, aber ein gewissenhafter  Mitarbeiter mit geringer Packzahl wird keineswegs gepiesackt und auf mehr getriezt. Jammern tun nur die, die vom Arbeitsamt verdonnert wurden und sich bisher in Büros die Sonne auf den Bauch scheinen lassen haben. Fragen Sie mal einen Koch, was er von der Debatte hält. Der lacht Sie aus. Und die meisten sind noch nicht mal Leiharbeiter.

Apropos. Kein Unternehmen greift freiwillig und gern auf Leiharbeiter zurück. Verträge über Dritte sind großer Mist, meist kostenintensiver als eine direkte Anstellung und man weiß darüber hinaus nie, was man an Idioten „geliefert“ bekommt. Doch in der Not, wenn Aufträge reinprasseln und Arbeitsbienen knapp sind, wird die Leiharbeit interessant und damit irgendwann auch die ausländischen Zeitknechte. Die machen dann, was der Deutsche nicht will, müssen aber dann auch in Notunterkünften untergebracht werden. Wo sollen sie auch hin? Jeden Tag von Polen nach Kassel und zurück? Guter Witz.

Kommen wir zum Lohn. Ich kenne die Amazon-Gehälter im Westen nicht, ich weiß aber, dass eine 37,5-Stunden-Woche bei Amazon Leipzig um die 1.500 brutto bringt + Essens- und Fahrtgeld. Im Osten ist das viel. Überstunden und Sonntagsarbeit fallen immer mal an und sind bis auf Spitzenzeiten zu Weihnachten freiwillig. Macht man da sporadisch mit, trägt man locker Einsacht nach Hause oder mehr. Das ist im Osten schon eine Nummer und mehr als beispielsweise ein Mediendesigner in der Verlagsbranche kassiert. Amazon orientiert sich momentan an den Logistik-Tarifverträgen, Verdi hätte lieber den Flächentarifvertrag für den Einzelhandel. Sagt jemandem das Wort Korinthenkacker was?

Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er ein Unternehmen unterstützt, das knapp an der Lohngrenze arbeitet und/oder seine Mitarbeiter als Ware/Drohnen betrachtet. Sollte dann aber konsequent sein. Schnell wird er feststellen, dass er damit kaum noch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Willkommen in der Wirtschaft, willkommen im Kapitalismus.

Mehr:
T3N über den Shitstorm in der Presse
Amazon kündigt weiteren Dienstleister | Beitrag bei Heise
Ex-Leiharbeiterin fühlt sich im Amazon-Film falsch dargestellt | Beitrag bei HNA.de

Vom Einschlag, der keiner war

Dieses Ei ist schnell gepellt. Freitagmorgen rutschte man ganz aufgeregt auf den Stühlen der News-Redaktionen hin und her: Stein aus dem All. Russland. Bumm. Vom Dezember-Weltuntergangsschrecken ist noch etwas übrig und schon werden Meldungen rausgeblasen wie: Meteorit schlägt in Russland ein. 

Nun erinnern wir uns ein bisschen an die Astronomiestunden: Meteoroid nennt man die dicken Steine, die im Sonnensystem so unterwegs sind. Größere bezeichnet man übrigens als Asteroiden (Kleinplaneten). Der Meteoroid wird zum Meteor sobald er in die Erdatmosphäre eintritt. Berührt er den Erdboden, nennt man den Kerl Meteorit. Also stimmt die Meldung möglicherweise?

Im Prinzip könnte sie es. Aber da wäre ja noch die kleine Tatsache, dass der Meteor mehrere Kilometer über Russland explodierte. In der Luft. Das erkennt bereits jeder Laie in den kursierenden Videos. Kein Einschlag. Blöd.

Nachtrag
Die Science-Blogs beschreiben das ganze auch recht schön

GEMA, Youtube, Kindergarten

Worauf sich alle im Netz momentan einigen können, ist das GEMA-Feindbild. Dabei war es nicht nur die Tarifreform für Discotheken und Veranstalter, die die GEMA ins Licht der Blog-Häscher rückten, sondern vielmehr das Theater um die gesperrten Videos bei Youtube. Die Google-Tochter missbraucht ihre Macht im Netz und beeinflusst mit einem perfiden Trick die Videoglotzer: Statt eines Videos bekommt der Nutzer eine „Sperrtafel“ präsentiert.

„Dieses Video ist in Deutschland nicht verfügbar, weil es möglicherweise Musik enthält, für die die erforderlichen Musikrechte von der GEMA nicht eingeräumt wurden.“ Das Zauberwort heißt ihr möglicherweise. Aber: Laut Gerichtsurteil muss Youtube keineswegs alle Videos mit Inhalten aus dem GEMA-Repertoire sperren, sondern nur ganze sieben Titel. Die GEMA führte in Ihrer Klageschrift zwölf Titel an, das Landgericht Hamburg beschnitt alles auf sieben. Im Prinzip besitzt Youtube jedoch gar keine Rechte, die Musik öffentlich zugänglich zu machen, da noch keine Vereinbarung mit der Verwertungsgesellschaft geschlossen wurde. Die Videoplattform dürfte somit eher mit einem schwarzsendenden Piratensender gleichzusetzen sein.

Die ganze Absurdität der Sperrtafel-Politik offenbart sich bei einer genauen Suche innerhalb des Videosumpfs. Ein Großteil der beklagten Titel ist weiterhin zu finden und lässt sich auch ohne Weiteres abspielen. Keine Sperrtafel in Sicht. Selbst nach dem Urteil hochgeladenes Material (U96, Mireille Mathieu etc.) steht voll abrufbereit zur Verfügung. Eigentlich fahrlässig, da das Landgericht bei Verstößen ein Ordnungsgeld von im Einzelfall bis zu einer viertel Million Euro verhängen kann.

Das Ziel der andauernden Sperrtafeln ist aber ein anderes. Imgrunde werden die User und Netzgemeinschaft und mittlerweile auch die Musikverlage für die Ziele des Suchmaschinenriesen instrumentalisiert. Die fallen schön drauf rein und blasen ihren Unmut in Blogs und Kommentarfeldern raus. Denn in deren Augen ist die GEMA Schuld, dass die heißgeliebten Videos hinter Sperrtafeln verschwinden. Die GEMA ist damit einem enormen Druck ausgesetzt, obwohl sie ja nur das Interesse ihrer Mitglieder verfolgt. Auch wenn das intransparente Verteilssystem der GEMA-Einnahmen mal anständig renoviert werden müsste und die Forderungen gegenüber Youtube (es war mal von 0,6 bis 1,2 Cent je abgespielten Titel die Rede) etwas überzogen waren, geht es hier immerhin um entgangene Einnahmen an die Urheber der Musiktitel. Jeder Salon, jede Boutique, jede Discothek, jedes Radio zahlt an die GEMA für das Dudeln von Musik, warum sollte Youtube da ausgenommen sein?

Der Fall erinnert mich an ein ähnlich erpresserisches Vorgehen seitens Amazon 2007. Der Musikindustrie war es ein Dorn im Auge, dass das Versandunternehmen aktuelle Alben günstig aus den USA und UK nach Deutschland importiert und verkauft hat. Man solle die Alben doch in Europa zu den regulären Preisen beziehen. Amazon sperrte daraufhin alle Alben der betroffenen Verlage in den Top 100 und noch ein paar mehr. Die Musikverlage knickten ein und alles war beim alten.

Ein ähnliches Ergebnis erhofft sich mit seiner Aktion anscheinend auch Google und vereist damit die Verhandlungspositionen noch mehr, als sie es sowieso schon sind. Die GEMA verharrt ebenso in ihrer Trotzposition. Dabei wäre es für beide Lager am naheliegensten, ihr Kindergartenverhalten abzulegen, sich zurück an den Verhandlungstisch zu begeben und nach Kompromissen zu suchen. Doch das wird eher Wunschdenken bleiben. Die GEMA hat mittlerweile die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt damit beauftragt, im Falle von eintausend Titeln die Angemessenheit der von der GEMA geforderten Urhebervergütung im Rahmen einer Schadensersatzforderung zu überprüfen. Zudem wurde Klage gegen die Sperrtafelpolitik eingereicht.

Mehr:
Älterer Beitrag auf Heise zu dem Urteil
Beitrag auf der Seite der GEMA

Jeder darf was sagen, ich mache mit

Hopfen und Malz sind verloren, kreiselt es mir durch den Kopf, wenn ich durchs Netz tingele, Blogs und Kommentare der Social-Ecken durchgrabe. Aus dem kleinsten Mist wird ein Shitstorm, der bei näherer Betrachtung total haltlos ist. Nachgeplappert und unreflektiert wird weiter verbreitet um des Weiterverbreitenwillens; immer ruff. Ob’s stimmt? Egal. Hauptsache bashen.

Hamse schön gelernt bei den großen Verlagen und deren Töchtern: Tageszeitungen, Wochenmagazine und praktikantengepflegte Newsseiten. Hauptsache der Aufmacher für den nächsten Tag und der Header auf der Newsseite sind gefüllt und reißerisch. Ob’s stimmt? Egal. Immer ruff. War schon immer so, doch jetzt macht jeder mit, der die Entertaste auf der Tastatur finden kann. Im Netz lässt sich eben immer ein Feindbild finden.

Manchmal muss man sein Haus von draußen betrachten, um zu sehen, warum es reinregnet. Darum mache ich jetzt das, was ich schon immer machen wollte. Ich gehe jetzt raus. Und werde berichten.

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